06.02.2023

DSL war gestern, Glas ist morgen - und bis dahin?

Glasfaser ist die Technologie der Wahl, wenn es um den digitalen Standort geht. Soviel ist klar. Doch welche Faktoren entscheiden über die Migration von Koax auf Glasfaser?

DSL war gestern, Glas ist morgen – und bis dahin?

Deutschland wird verglast – und das mit hoher Dynamik, denn im FTTB/H-Ausbau sind viele Länder weiter als wir. Auch deshalb ist der Digitalisierungsdruck in Industrie und Verwaltung hoch; schnelle Breitbandnetze werden gebraucht. Doch trotz der Dynamik ist die Glasfaserzukunft aus vielerlei Gründen nicht von heute auf morgen zu erreichen.

Eigentlich klingen die Zahlen für Deutschland gar nicht so schlecht. Nach Angaben des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) steht 62,1 Prozent der Haushalte eine Bandbreite von mindestens 1 Gbit/s zur Verfügung. Da dürfte es doch nicht schwer sein, die verbleibenden knapp 40 Prozent in den kommenden sieben Jahren zu erschließen. So hat die Regierung dann auch in ihrer Gigabit-Strategie festgelegt, dass sämtliche 41,5 Millionen Haushalte in Deutschland bis 2030 einen Glasfaseranschluss erhalten sollen.

Medium der Zukunft

Doch Gigabit heißt nicht Glasfaser, auch wenn uns das so manche Marketingabteilung glauben machen will. Denn von den 62,1 Prozent der Haushalte besitzen nur 15,4 Prozent einen Glasfaseranschluss. Rund 24 Millionen Haushalte (56,5 Prozent) erhalten das Gigabit sowie Fernsehen und Telefonie über ihren Kabelanschluss (CATV). Weder die Kabelnetzbetreiber noch die Wohnungsunternehmen werden das Koaxkabel aus den Wänden reißen, nur weil jetzt Straßen und Bürgersteige aufgerissen werden, um Glasfaser zu verlegen.

Unbestritten ist die Glasfaser das Medium der Zukunft, um den steigenden Bandbreitenbedarf decken zu können, der vornehmlich durch den Videokonsum hervorgerufen wird. Für zukünftige Anwendungen wie autonomes Fahren, Virtual und Augmented Reality oder Telemedizin werden auch Latenz und symmetrische Bandbreiten eine immer größere Rolle spielen. Diese Zukunft lässt sich aber nicht übers Knie brechen (wie die teils tragischen Tests mit selbstfahrenden Autos in den USA belegen). Wie kann also die Migration von Koax zu Glasfaser gelingen?

FTTH mit geringer Nutzung

Aktuell liegt die Versorgungsquote mit Glasfaser bundesweit bei besagten 15,4 Prozent, wobei definitorische Unschärfen die Quote aufhübschen. Es wird zwar unterschieden in Gebäude, an denen die Glasfaser anliegt (Homes Connected) und solche, an denen sie entlangläuft (Homes Passed). Trennscharf lassen sich beide Kategorien aber nicht trennen. Zudem ist nicht klar, was konkret unter „entlanglaufen“ zu verstehen ist. Ob die Trasse fünf, zehn, fünfzehn oder fünfzig Meter weit entfernt vom Haushalt verläuft, ist nicht näher definiert – und damit auch nicht der Aufwand, um Homes Passed zu Homes Connected auszubauen.

Klar definiert ist hingegen, was unter Homes Activated zu verstehen ist, nämlich die Haushalte, die tatsächlich über Glasfaser im Internet surfen. Nach Angaben des Verbands der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM), der insgesamt von knapp sechs Millionen FTTB/H-Anschlüssen ausgeht, ist lediglich etwas mehr als ein Drittel aktiviert. Das hieße, das von 41,5 Millionen Haushalten in Deutschland derzeit nur 2,2 Millionen die Glasfaser auch tatsächlich nutzen. Der Bundesverband Breitbandkommunikation geht in seiner Marktanalyse davon aus, dass es 2,6 Millionen Haushalte sind.

Herausforderung auf der NE4

Vergleicht man das Verhältnis zwischen Koax und Glasfaser in Städten werden drei von vier Haushalten (75,1 Prozent) via Kabelnetze mit Gigabit versorgt. Der Anteil der Glasfaser beträgt in Städten 18,6 Prozent. Während die Kabelnetze laut Breitbandatlas ihre Gigabit-Abdeckung in Städten von Mitte 2020 auf Mitte 2021 um knapp fünf Prozentpunkte steigern konnten, legte die Glasfaser im gleichen Zeitraum nur um einen Prozentpunkt zu. Warum ist dieser Vergleich so wichtig? Weil die größte Herausforderung im Breitbandausbau darin besteht, die Glasfaser in die Mehrfamilienhäuser, also auf die Netzebene 4 (NE4) zu bringen.

Die Betreiber der NE4-CATV-Netze sind auf den Glasfaserausbau auf der Netzebene 3 angewiesen. Dort, wo die Glasfaser noch auf sich warten lässt, ist sie bei Bauprojekten eben nicht die erste Wahl. So kann es sein, dass selbst Neubauten sowohl mit Koax als auch mit Glasfaser erschlossen werden. Sicherlich wird sich auf lange Sicht die Glasfaser durchsetzen, jedoch ist beim bisherigen Verlauf des Glasfaserausbaus, vor allem in Städten und dort bei Mehrfamilienhäusern, nicht zu erwarten, dass bis Ende 2030 jeder Haushalt einen Glasfaseranschluss besitzt. So werden noch auf viele Jahre hinaus CATV- und Glasfasernetze ko-existieren, im Idealfall ergänzen, bevor die Glasfaser Koax substituiert.

Geringe Zahlungsbereitschaft

Denn selbst wenn die Glasfaser bis in die Wohnung reicht, ist das noch kein Garant dafür, dass sie auch genutzt wird. Abseits aller Ausbaubemühungen entscheidet letztendlich der Mieter bzw. Konsument über seinen Internetanschluss. Dass er die Glasfaser nicht wegen ihrer technologischen Überlegenheit wählt, zeigt der geringe Anteil der Homes Activated, wenngleich er von Jahr zu Jahr steigt.

Einer der Gründe: Die Glasfaser ist zwar schneller, aber auch teurer. In Zeiten einer hohen Inflation dreht der Verbraucher jeden Cent zweimal um. Warum also den 100-Mbit/s-Anschluss vom DSL- oder Kabelnetzbetreiber kündigen, nur um mit 300 Mbit/s – hier beginnen die Tarifangebote vieler Glasfasernetzbetreiber – für fast den doppelten Preis im Internet zu surfen? Für die heutige Onlinenutzung macht der Unterschied in der Bandbreite eben keinen Unterschied aus – im Portemonnaie allerdings schon.

Kaum Spielraum für Preissenkungen

Ein böses Erwachen könnte es für den Mieter geben, wenn er sich ab dem 1. Juli 2024 selbst um den TV-Empfang kümmern und ihn bezahlen muss, wohingegen ihm ein vergleichsweise geringer Eurobetrag aus den Mietnebenkosten erlassen wird (wenn er das überhaupt bemerkt). Für Mieter kann also der Eindruck entstehen, nun für etwas zahlen zu müssen, was sie zuvor gefühlt kostenlos bekommen haben. Technische Innovationen wie Restart, Replay, Timeshift oder Cloud-PVR dürften eher die jüngeren Konsumenten interessieren. Die kaufkräftige Baby-Boomer-Generation will dagegen weiterhin „nur“ fernsehen.

Nun könnten die Glasfasernetzbetreiber ihre Preise senken, doch der Spielraum dafür ist klein. Die Kapazitätsengpässe bei den Tiefbauunternehmen sowie der immer noch anhaltende Materialmangel als Folge der Lieferprobleme während der Coronapandemie erhöhen auch für Netzbetreiber die Preise. Die oft kolportierten 50 Milliarden Euro sind mehr Ankündigung als tatsächliche Beträge auf den Konten der Netzbetreiber. Wenn sich das Marktumfeld weiter verschlechtert, wird eventuell der eine oder andere Investor noch einmal nachrechnen, ob es sich lohnt, im deutschen Glasfasermarkt zu bleiben.

Treiber für den NE4-Ausbau

Die begrenzte Zahlungsbereitschaft des Konsumenten bekommen auch die zu spüren, die für die steigende Breitbandnachfrage maßgeblich verantwortlich sind: die Streaming-Anbieter. Einer nach dem anderen präsentiert ein werbefinanziertes Angebot, um die Kunden zu halten, bevor sie zum Konkurrenten wechseln oder das Abo ganz abbestellen und doch lieber auf die Mediatheken der TV-Sender zurückgreifen.

Sicherlich wird die Streaming-Nutzung weiter ansteigen, aber Videos in 4k-Auflösung werden bereits heute über CATV-Netze übertragen, die auch keine Probleme mit einer 8k-Auflösung haben werden. Und der geringe Anteil der Homes Activated lässt daran zweifeln, dass das Streaming der große Treiber ist. Welche Anwendung die Nachfrage der Privathaushalte nach FTTH-Anschlüssen antreiben könnte, ist völlig unklar. Wird es Virtual Reality sein? Oder Gaming? Oder beides zusammen? Vielleicht. Aber ebenso ungewiss ist auch, wann zukünftige bandbreitenintensive Anwendungen die breite Masse und nicht nur Early Adopters erreichen, um den Breitbandausbau zu pushen.

Ein Schub für den Glasfaserausbau auf der NE4 könnte von den TK-Konzernen ausgehen. Aber Deutschlands größter Kabelnetzbetreiber hat keinen reinen End-to-End-Glasfaserdienst im Portfolio. Dagegen dürften eher die Kooperationen mit der Deutschen Telekom den NE4-Glasfaserausbau nach vorne bringen, vor allem, weil nun mit der Open-Access-Vereinbarung zwischen der Telekom und wilhelm.tel eine Blaupause vorliegt.

Überbau vermeiden

Kabelnetzbetreiber auf der NE4 sollten sich allerdings auch nicht zu sicher fühlen, denn durch den Glasfaserausbau auf der NE3 wird durchaus Druck auf NE4-Betreiber ausgeübt. Zwar ist das CATV-Netz eine erprobte Infrastruktur mit zahlenden Kunden, aber sobald die Glasfaser einmal bis ans Haus führt, ist der Zeitpunkt gekommen, selbst Glasfaser auf der NE4 zu verlegen, um den Überbau zu vermeiden und nicht am Ende doch als technologisch Unterlegener den Kürzeren zu ziehen.

Dabei dürften die Kabelnetzbetreiber die Unternehmen der Wohnungswirtschaft auf ihrer Seite wissen, denn beim Schlagwort „bedarfsgerechter Netzausbau“ sträuben sich beim Gebäudeeigentümer die Haare. Was die Wohnungswirtschaft nicht will: den Single-Line-Glasfaserausbau, also eine Wohnung mit FTTH-Anschluss hier, eine andere da und eine dritte dort. Je mehr Netzbetreiber sich im Haus tummeln, desto unübersichtlicher wird es für den Eigentümer – und mindestens einer wird Brandschutz- oder andere bauliche Vorgaben missachten. Dann ist der Ärger groß.

Doch auch der Glasfaserausbau auf der NE4 bedeutet nicht das sofortige Aus für CATV-Netze. Beide Infrastrukturen sollten so genutzt werden, dass der Konsument aus einer möglichst breiten Auswahl an Diensten die findet, die zu ihm passen. Die TV-Versorgung könnte beispielsweise weiterhin über das Kabelnetz erfolgen, während der Internetzugang über das FTTH-Netz realisiert wird. Die Migration wird vor allem dann gelingen, wenn beide Infrastrukturen in einer Hand liegen. Ist das nicht der Fall, besteht ein Konkurrenzverhältnis, das beiden Netzbetreibern schaden kann. Das bremst wiederum die Migration von Koax auf Glasfaser.

 

(Autor: Tobias Hopf - Rehnig BAK; Artikel erschienen in der Cable!Vision Europe)


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